Gemeinsam gesund bleiben und sicher arbeiten
InfraServ Wiesbaden / 06.08.2024
Jürgen Freiburg leitet die Abteilung Arbeitssicherheit der ISW-Gruppe. Neben den klassischen Sicherheitsthemen liegt sein Fokus auf dem Gesundheitsschutz. Wir sprachen mit ihm über einen aktuellen Arbeitsschwerpunkt: die Vermeidung von Beinaheunfällen.
Als Leiter der Arbeitssicherheit kümmern Sie sich mit Ihrem Team darum, dass alle Arbeitsumgebungen und Arbeitsprozesse den geltenden Sicherheitsstandards entsprechen. Ein wichtiges Aufgabenfeld ist die Vermeidung von Beinaheunfällen. Was ist darunter zu verstehen?
Ein Beinaheunfall ist eine Situation, in der bereits etwas passiert ist: Zum Beispiel könnte eine Stange von einem Gerüst gefallen und zu Boden gestürzt sein, glücklicherweise ist dabei aber niemand verunfallt. Wäre eine Person genau zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort gewesen, hätte das zu einem Unfall geführt. Beim Beinaheunfall bleibt es aus, dass ein Mensch tatsächlich einen körperlichen Schaden erleidet.
Die ISW hat einen Prozess zur Meldung von Beinaheunfällen und Sicherheitsmängeln eingeführt – im Intranet ISWnet gibt es dafür einen Buzzer. Wer den anklickt, gelangt zu einem Meldeformular und kann eintragen, wo er Gefahrenpotenziale beobachtet hat. Was versprechen Sie sich davon?
Wir wollen es den Kolleginnen und Kollegen über das ISWnet so leicht wie möglich machen, entsprechende Mängel zu melden, und gleichzeitig wollen wir ihre Aufmerksamkeit schärfen. Aber natürlich muss man nicht den Meldeweg über das Intranet und das hinterlegte Formular im Dokumentensystem iServ gehen. Man kann sich auch weiterhin per E-Mail oder Telefon an mich oder meine Kolleginnen und Kollegen der Arbeitssicherheit wenden.
Wie sieht es mit der Akzeptanz von Seiten der Belegschaften aus?
Tatsächlich findet die Initiative immer mehr Anklang, wir sind sehr zufrieden. Seit 2022, dem Jahr der Einführung, steigt die Anzahl der Meldungen von Beinaheunfällen und Sicherheitsmängeln kontinuierlich an, ohne dass es eine Zunahme tatsächlicher Unfälle gäbe. Das ist sehr erfreulich und daran erkennen wir, dass diese Meldesystematik immer besser angenommen wird und Hemmungen, es zu nutzen, überwunden werden. Die Sache hat sich rumgesprochen, immer mehr Kolleginnen und Kollegen verstehen Sinn und Zweck und handeln entsprechend.
Anprangern oder vorbeugen: Warum ist es wichtig, dass Hemmungen überwunden und Beinaheunfälle der Arbeitssicherheit gemeldet werden?
Es geht bei diesen Initiativen nicht darum, das beobachtete Fehlverhalten eines Kollegen oder einer Kollegin zu melden im Sinne eines Anprangerns oder einer Schuldzuweisung. Vielmehr geht es darum, gemeinsam vorzubeugen und voneinander zu lernen. Die Arbeitssicherheit will schützende Maßnahmen möglichst zeitnah umsetzen – und dafür sind wir auf die Mithilfe aller Mitarbeitenden angewiesen. Damit schützen wir uns am Ende alle gemeinsam gegenseitig.
Können Sie ein Beispiel für einen solchen Lernprozess nennen?
Wir stellen zum Beispiel fest, dass im Sommer häufiger Unfälle auftreten als in den anderen Jahreszeiten. Das kann an Hitze und/oder Schlafmangel liegen, die dazu führen, dass man unkonzentriert ist. So steigt das Unfallrisiko. Durch das Melden entsprechender Situationen können wir solche Trends frühzeitig vor einem Unfall erkennen und Vorsorgemaßnahmen ergreifen, wie zum Beispiel regelmäßige Pausen, ausreichende Getränkeversorgung, die Empfehlung von Kopfbedeckungen oder passender Arbeitskleidung bis hin zu einer Anpassung der Arbeitszeiten.
Es ist wichtig, dass solche Situationen offen angesprochen werden, denn so können wir potenzielle Gefahren erkennen und vorbeugen. Wir sind also auf diese Meldungen angewiesen, denn wir müssen ein Bewusstsein dafür entwickeln, wo wir stehen, und dürfen uns nicht in falscher Sicherheit wiegen, nur weil keine Unfallmeldungen eingehen. Jeder Beinaheunfall kann in einem anderen Moment zu einem wirklichen Unfall führen.
Was sollten also Mitarbeiter tun, die eine unsichere Situation oder Sicherheitsmängel beobachten?
Wer eine unsichere Handlung oder Situation bemerkt, egal ob bei einer Fremdfirma oder bei einem Kollegen, sollte dies direkt ansprechen. Ziel ist, in ein Gespräch einzusteigen, auf dass der Kollege oder die Kollegin versteht, warum die Handlung dem Beobachter unsicher erscheint. Die meisten Menschen reagieren darauf übrigens absolut verständnisvoll. Schließlich geht es darum, dass nach Feierabend alle sicher nach Hause gehen. Es ist also wichtig, aufmerksam zu sein, einzuschreiten und das Gespräch zu suchen.
Reicht es aus, sich mit der Arbeitssicherheit in Verbindung zu setzen, oder sollte man zusätzlich mit der Führungskraft sprechen?
Es ist tatsächlich sehr hilfreich, wenn man sich sowohl mit der eigenen Führungskraft als auch mit uns in Verbindung setzt. Nur so können wir voneinander lernen und mögliche Muster oder Probleme erkennen. Wenn sich Zwischenfälle häufen, ist es wichtig, genauer hinzuschauen: Sind das zum Beispiel Phasen, in denen besonders hektisch gearbeitet wird, und werden Sicherheitsvorkehrungen möglicherweise deshalb vernachlässigt? Vielleicht gibt es Gründe wie Zeitdruck oder andere, ungewöhnliche Umstände? Wir müssen diese Situationen gemeinsam analysieren und verstehen, was gerade passiert. Deshalb ist es hilfreich, das Gespräch mit der Führungskraft zu suchen und außerdem uns eine Meldung abzugeben. So haben wir die Möglichkeit, dem nachzugehen und zielegerichtet zu reagieren.
Wie gehen Sie mit Meldungen zu Beinaheunfällen um? Geben Sie auch eine Rückmeldung?
Ja, darauf legen wir großen Wert. Die Person soll wissen, dass an der gemeldeten Situation gearbeitet wird. Wir informieren sie darüber, wie wir damit umgegangen sind und welche Maßnahmen ergriffen wurden. Dazu nehmen wir Kontakt mit den zuständigen Fachabteilungen auf, um gemeinsam Lösungen zu finden.
Wie gestaltet sich Ihr Arbeitsalltag und was betrachten Sie als Ihr Wirkungsfeld?
Klar ist: Arbeitssicherheit kann nicht nur am Computer stattfinden – die gerade genannten Beispiele zeigen das. Sie muss vor allem dort, wo praktisch gearbeitet wird, gewährleistet sein. Wir von der Arbeitssicherheit müssen deshalb die richtige Balance zwischen Büroarbeiten und praktischer Unterstützung finden. Wir setzen immer auf den Dialog mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort; wir wollen ihre Bedürfnisse und ihren Arbeitsalltag verstehen und gemeinsam die Sicherheit erhöhen.
Wir sehen uns hier im Industriepark Wiesbaden als Verantwortungsgemeinschaft, deren gemeinsames Ziel die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz ist. Deshalb haben wir uns übrigens auch der Initiative „Vision Zero!“ der Berufsgenossenschaft BG RCI angeschlossen. Gemeinsam mit den Standortunternehmen setzen wir uns für eine Arbeitswelt ohne Arbeitsunfälle ein.
Zusätzlich bauen wir darauf, dass sicherheitsbewusstes Verhalten im Betrieb auch ins private Umfeld übertragen wird. Zum Beispiel, wenn ich zu Hause Hecken schneide und mir Gedanken darüber mache, ob meine Arbeitsgeräte sicher sind und ob ich die richtige Schutzkleidung trage.
Welche Rolle spielt das Thema Gesundheit in diesem Zusammenhang?
Für uns gilt das Motto: Wir arbeiten gesund und sicher oder gar nicht! Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Mitarbeiter in guter körperlicher und geistiger Verfassung, also auch gesund, zur Arbeit kommen. Nur so können sie ihre Aufgaben mit hoher Qualität und Sicherheit ausführen – nicht aber, wenn sie hektisch, übermüdet oder frustriert sind. Wer gesundheitlich angeschlagen oder mental abgelenkt ist, hat ein deutlich höheres Risiko, zu stolpern, danebenzugreifen oder auf andere Weise zu verunfallen.
Kategorien der Arbeitsunsicherheit
Die ISW-Arbeitssicherheit unterscheidet bei der Bearbeitung gemeldeter Beinaheunfälle und Sicherheitsmängel drei Kategorien:
- Unsichere Handlungen sind bewusste Entscheidungen eines Mitarbeitenden, von Sicherheitsregeln abzuweichen. Ein Beispiel wäre, eine Leiter ohne Sicherung zu benutzen, obwohl man weiß, dass es gefährlich ist.
- Unsichere Zustände sind physische Gegebenheiten, die potenzielle Gefahren darstellen. Das könnte zum Beispiel ein herausgebrochener Pflasterstein sein, über den man stolpern könnte.
- Eine unsichere Situation ist gegeben, wenn zum Beispiel eine Werbetafel im Wind schwingt und kurz davor ist, herunterzufallen.
Jürgen Freiburg, Leiter der ISW-Arbeitssicherheit.
Im industriellen Umfeld der ISW-Gruppe gibt es viele Arbeitssituationen, für die spezielle Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. Die Mitarbeitenden brauchen zur Ausübung ein ausgeprägtes Sicherheitsbewusstsein. Die Gefahren lauern aber oft im Kleinen wie Stolperstellen und Rutschgefahren. Auch hierfür braucht es wachsame Augen.
Dieser Artikel ist in ähnlicher Fassung zuerst erschienen im Mitarbeiter- und Nachbarschaftsmagazin ISW INTERN (07/24). Aktuelle Job- und Ausbildungsangebote finden Sie in unserem Karriereportal.